Bundesrat verlängert NCD-Strategie und Strategie Sucht: Interview mit den Strategieleiterinnen

Der Bundesrat hat am 21. August die Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten und die Nationale Strategie Sucht um vier Jahre bis 2028 verlängert. Was bleibt gleich, und was ändert sich? spectra hat bei den beiden Strategie-Leiterinnen nachgefragt.

Marianne Jossen Simona De Berardinis

Themen

Psychische Gesundheit

Nichtübertragbare Krankheiten (NCD)

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Warum werden die Strategien NCD und Sucht verlängert?

Marianne Jossen: Weil es koordinierte Bemühungen für Gesundheitsförderung, Prävention und Suchthilfe weiterhin braucht. Das zeigen die Zahlen: Über zwei Millionen Menschen leiden in der Schweiz an chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Dies alles verursacht viel Leid. Auch von Abhängigkeiten sind in der Schweiz viele Menschen betroffen: Rund 40’000 Personen sind wegen einer Suchtproblematik in Behandlung. Das ist aber nur ein Bruchteil der Personen, die an einer Abhängigkeit erkrankt sind – viele betroffene Menschen suchen keine Hilfe.

Rund die Hälfte dieser Krankheiten könnten durch einen gesunden Lebensstil verhindert oder verzögert werden. Vorbeugen ist besser als heilen. Unsere Aufgabe ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Menschen die Möglichkeit haben, einen entsprechenden Lebensstil zu pflegen. Und wenn sie doch erkranken, sollen sie so begleitet werden, dass sie trotz Krankheit eine gute Lebensqualität haben.

Im Schweizer Gesundheitswesen sind die Kosten das dominante Thema. Welche Rolle spielt hier die Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten?

Simona De Berardinis: Vorbeugen erspart den Betroffenen und deren Angehörigen viel Leid. Zudem ist Vorbeugen auch viel günstiger als heilen. Prävention verhindert oder verzögert Krankheitsfälle. Jeder Franken, den wir in Prävention investieren, lohnt sich um ein Vielfaches.

Welche Rolle spielt dabei die Prävention in der Gesundheitsversorgung oder in der Suchthilfe?

Simona De Berardinis: Es lohnt sich, in Prävention entlang des gesamten Behandlungspfades zu investieren. Also auch dann noch Prävention zu betreiben, wenn jemand risikoreich konsumiert oder bereits von einer Abhängigkeitserkrankung oder einer anderen nichtübertragbaren Erkrankung betroffen ist. Es ist anzunehmen, dass Verhaltensweisen oder der Konsum von psychoaktiven Substanzen, die zu einer Abhängigkeit oder einer anderen nichtübertragbaren Erkrankung führen können, bei bestimmten Zielgruppen weiter zunehmen werden. Daher zahlen sich auch Investitionen in eine effiziente und gerechte Suchthilfe und in die Prävention in der Gesundheitsversorgung aus.

Die Evaluation der Strategien hat gezeigt, dass es Schwerpunkte braucht. Diese wurde nun für die Massnahmenpläne 2025-28 berücksichtigt. Was sind die neuen Schwerpunkte?
Marianne Jossen: Für die NCD-Strategie sind es die Förderung der Psychischen Gesundheit, die Prävention von Übergewicht und Adipositas sowie die Tabak- und Nikotinprävention.

Wieso sind es gerade diese Schwerpunkte?
Marianne Jossen: Diese drei Bereiche verursachen die grösste Krankheitslast und gleichzeitig hohe Kosten. Bei der psychischen Gesundheit erfordert die aktuelle Lage insbesondere bei den Jüngeren ein starkes gemeinsames Handeln. Dass genau dies die Schwerpunkte sind, haben alle drei Träger der NCD-Strategie gemeinsam entschieden. Das heisst, Gesundheitsförderung Schweiz, die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren und das BAG.

Wie werden diese Schwerpunkte im Massnahmenplan abgebildet?
Marianne Jossen: Die Massnahmen der NCD-Strategie sind noch stärker auf diese zentralen Risiko- und Schutzfaktoren ausgerichtet worden. Die bisherigen Massnahmen zur Prävention von psychischen Erkrankungen und zur Förderung der psychischen Gesundheit auf Bundesebene sind nun vollständig in den NCD-Massnahmenplan 2025–2028 integriert worden. Der Tabakkonsum soll unter anderem mit den kantonalen Tabak- und Nikotinpräventionsprogramme oder dem Kinder- und Jugendprogramm des Tabakpräventionsfonds (TPF) reduziert werden. Auch Massnahmen im Massnahmenplan der Nationalen Strategie Sucht 2025–2028 sollen den Tabakkonsum reduzieren. Beispielsweise die Früherkennung und Frühintervention oder die Tabakentwöhnung. Weiter unterstützt das revidierte Tabakproduktegesetz die Kantone beim Jugendschutz, denn es regelt Abgabealter und Werbeeinschränkungen.

Bezüglich der Prävention von Übergewicht und Adipositas finden sich im Massnahmenplan Aktivitäten wie kantonale Aktionsprogramme, Ernährungsempfehlungen und die Kampagne «5 am Tag» des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Auch die Bewegungsförderung wird im Massnahmenplan abgebildet.

Die neuen Vertiefungsthemen im Massnahmenplan der Strategie Sucht sind Mischkonsum bei Jugendlichen und Verhaltenssüchte. Warum gerade diese?
Simona De Berardinis: Die Vertiefungsthemen «Mischkonsum» und «Verhaltenssüchte» wurden nach Konsultation der Eidgenössischen Kommission für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (EKSN) festgelegt. Damit greift der Massnahmenplan Sucht zwei Themen auf, in welchen auch die Evaluation Handlungsbedarf verortet. Der Fokus bei der Prävention von Mischkonsum liegt auf den Jugendlichen: Dass Jugendliche Medikamente gemischt mit anderen Substanzen wie Alkohol einnehmen, um sich zu berauschen, ist seit mehreren Jahren bekannt. Allerdings nimmt der Mischkonsum zu und betrifft immer jüngere Jugendliche. Auch Verhaltenssüchte oder suchtartige Verhaltensweisen wie der problematische Konsum von Geld- und Videospielen, Pornografie oder sozialen Medien nehmen in der Schweiz zu. Das Internet spielt dabei eine bedeutende Rolle, da viele Verhaltensweisen online gelebt werden.

Und wie werden diese Vertiefungsthemen im Massnahmenplan abgebildet?

Simona De Berardinis: Insgesamt zielen sieben Aktivitäten des Massnahmenplans Sucht darauf ab, die Risikofaktoren bezüglich Mischkonsum bei Jugendlichen zu verringern und die Schutzfaktoren zu stärken. Der Massnahmenplan sieht vor, Entwicklungen und Trends besser zu beobachten, neue Erkenntnisse bekannt zu machen und die Kantone sowie weitere Partnerorganisationen beim Aufbau von Angeboten fachlich zu unterstützen.

Zur Verbreitung von Verhaltenssüchten in der Schweiz liegen nur partiell Daten vor. So etwa zur Internutzung: 13 % der 15- bis 19-Jährigen zeigen eine problematische Nutzung. Oder zum Geldspiel: 3 % der Schweizer Bevölkerung haben ein risikoreiches oder problematisches Geldspielverhalten. Der Massnahmenplan Sucht sieht vor, dass wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und interessierten Kreisen zugänglich gemacht werden. Das Monitoring wird optimiert, präventive Massnahmen

koordiniert und Weiterbildung und Vernetzung gefördert. Insgesamt befassen sich vier Aktivitäten gezielt mit Verhaltenssüchten, welche sich durch die technischen Fortschritte dynamisch entwickeln.

Was passiert mit anderen wichtigen Themen der Prävention, beispielsweise mit der Alkoholprävention?

Simona De Berardinis: Der Alkohol spielt gerade beim Mischkonsum eine wichtige Rolle, daher wird die Frage des Alkoholkonsums spezifisch in diesem Zusammenhang berücksichtigt. Da die Impactziele der Nationalen Strategie Sucht weiterhin relevant sind, werden auch andere Alkoholthemen weitergeführt, jedoch nicht ausgebaut oder intensiviert. Natürlich bleibt die breite Alkoholprävention relevant und mit seinem Fonds wird der Bund weiterhin Projekte der Alkoholprävention unterstützen.

Die Evaluation der Strategien hat gezeigt, dass die Koordination und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren besonders wertvoll sind. Empfohlen wird, diese Zusammenarbeitskultur weiterzuentwickeln und zu sichern. Wie soll das geschehen?

Marianne Jossen: Wir pflegen etablierte Gefässe weiter: Die Bundesstellen, Partner und Träger arbeiten eng zusammen bei der Umsetzung. Die Kantone sind mit der Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung VBGF und der Konferenz der kantonalen Beauftragten für Suchtfragen KKBS an Bord und im engen Austausch mit den Trägern. Wichtig wird die Zusammenarbeit sicher für die Erarbeitung der strategischen Nachfolgelösung.

Simona De Berardinis: Die Evaluation zeigt auch, dass das bio-psycho-soziale Verständnis im Umgang mit Gesundheit gestärkt werden kann. Besonders die soziale Dimension von Gesundheit ist weiter entwicklungswürdig, die interdisziplinäre, interprofessionelle und transversale Zusammenarbeit gewinnt noch mehr an Bedeutung. Wir werden hier unsere Bemühungen weiter intensivieren, um die Vision «health in all policies» zu verwirklichen.

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