«Die Gesellschaft ist gesundheitsorientierter als die Politik»
Per 1. Mai hat Roy Salveter die Leitung der Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten im BAG an Petra Baeriswyl übergeben – nach über 15 Jahren im Amt. Mit spectra blicken die beiden zurück, sprechen über die Herausforderungen in der Präventionspolitik und über zukünftige Schwerpunkte.
Artikeldetails
Roy, nach über 15 Jahren im BAG wirst du das Amt nun verlassen. Was waren für dich die grössten Erfolge in deiner Zeit im BAG?
Roy Salveter: Mit der Einführung des Passivrauchschutzes haben wir sicher am meisten für die Gesundheit der Bevölkerung erreicht. Daneben konnten wir mit den beiden nationalen Strategien NCD und Sucht die konstruktive Zusammenarbeit der Akteure auf freiwilliger Basis stärken. Diese Zusammenarbeit erachte ich als wesentlichen Schlüssel zum Erfolg. Sie ist auch in der Evaluation zu den Strategien sehr positiv bewertet worden.
Worauf bist du besonders stolz?
Roy Salveter: Einerseits sind dies abteilungsinterne Prozesse, wie die erfolgreiche Reorganisation der Abteilung im Jahr 2016 und die Entwicklung der Zusammenarbeitskultur des «füreinander». Andererseits ist dies die Entwicklung der ganzheitlichen Strategie zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten wie auch der umfassenden Suchtstrategie.
In der Krisen-Bewältigung der Covid-19-Pandemie haben wir wichtige Beiträge für die Bevölkerung eingebracht: Im Bereich der Suchthilfe haben wir rasch dafür gesorgt, dass Personen mit Suchterkrankungen trotz den Einschränkungen die notwendige Hilfe erhalten haben. Wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass sich die Menschen auch unter Covid-19-Schutzmassnahmen ausreichend bewegen konnten. Und mit der Errichtung der «AG gesellschaftliche Auswirkungen» ist es uns gelungen, dass die Pandemiebewältigung ganzheitlicher betrachtet wird. So, dass bei den Massnahmen zum Beispiel weitmöglichst berücksichtigt wurde, was sie für Kinder und Jugendliche bedeuteten und entsprechend verträgliche Lösungen gefunden wurden.
Was wird dir speziell in Erinnerung bleiben?
Roy Salveter: Die Co-Leitung der Abteilung mit Ursula Koch, in den Jahren 2010-2015. Das war eine spannende Zeit und eine sehr tolle Erfahrung. Mit doppelter Power haben wir einen grossen externen und internen Wechsel umgesetzt. Von den einzelnen spezifischen Nationalen Programmen Alkohol, Tabak oder Ernährung und Bewegung zu den umfassenden Präventionsstrategien. Auf diese Präventionsstrategien, die NCD-Strategie und die Strategie Sucht, haben wir auch intern die Abteilung ausgerichtet. Speziell in Erinnerung wird sicher auch die Zeit bleiben, in der ich nach der Covid-19-Pandemie ad interim die Leitung der Abteilung übertragbare Krankheiten übernommen habe und geholfen habe, diese wieder aufzubauen.
Was hat dir bei deiner Arbeit Spass gemacht?
Roy Salveter: Sehr vieles. Vor allem die Zusammenarbeit mit den Teams und den Partnern. Gemeinsam etwas erreichen, vorwärtskommen, einen Nutzen erzielen. Oft waren es vergleichsweise kleine Dinge, die mich erfreut haben, beispielsweise gemeinsam mit Partnern erreichte Meilensteine. Thematisch hat mir vor allem die Bewegungsförderung Freude gemacht: Es ist einfacher, jemandem etwas zu ermöglichen, als etwas wegzunehmen oder abzugewöhnen – wie Präventionsmassnahmen beispielsweise im Bereich Tabak empfunden werden.
Was machte dir zu schaffen?
Roy Salveter: Die politischen Widerstände gegen die Prävention. Es hat mich immer wieder erschreckt, wie sehr selbst kleinste Präventionsbemühungen insbesondere in der Tabakprävention gegen jede Vernunft zunichte gemacht wurden. Politisch ist die Prävention oft in die Ecke «Freiheitsberaubung» und «Bevormundung» gestellt worden. Ich finde es jedoch nicht sinnvoll, Freiheit und Gesundheit gegeneinander auszuspielen. Denn ohne Gesundheit ist Freiheit nicht viel wert, wie auch Gesundheit ohne Freiheit nicht. Das ewige Drehen, die ganzen politischen Diskussionen mit der Vertretung von Partikularinteressen statt dem Ziel der Gesundheit der Menschen waren nicht konstruktiv – wir sind nicht vorangekommen.
Heisst das, die Politik zur Gesundheitsförderung und Prävention hat sich während deiner Zeit im BAG nicht verändert?
Roy Salveter: Ja und Nein. Als ich vor 15 Jahren begonnen habe, war ein regelrechtes Bashing gegen die Präventionsbemühungen des BAG im Gange. Die Bemühungen der Public-Health-Fachleute waren dafür umso intensiver – auch weil sie das Präventionsgesetz erreichen wollten, das ja dann gescheitert ist. Mit Gesundheit 2020 gab es einen Wechsel: Nun stand die freiwillige Zusammenarbeit mit gemeinsamen Zielen im Vordergrund. Dadurch waren wir politisch weniger im Rampenlicht, konnten dafür vorwärts gehen und wertvolle Grundlagenarbeiten machen.
In der Diskussion zur Umsetzung der Initiative «Kinder ohne Tabak» erkenne ich jetzt aber tatsächlich wieder die alten Muster. Im Parlament kommen wieder die gleichen Argumente wie vor 10 und vor 15 Jahren zu tragen. Ich glaube, die Gesellschaft ist gesundheitsorientierter als die Politik. Erfreulich ist, dass die Zusammenarbeit mit den Partnern besser geworden ist, die «Präventionscommunity» ist stärker als vor 15 Jahren. Man hat realisiert, dass man zusammen mehr erreichen kann.
Petra, was wirst du als neue Abteilungsleiterin weiterführen?
Petra Baeriswyl: Wir haben eine sehr solide Basis, auf der wir aufbauen können. Handlungsbedarf gibt es nach wie vor, darum bleiben die Strategien ausgesprochen wichtige Grundlagen – die Massnahmen für die nächsten Jahre haben wir bereits entworfen. Was Roy aufgegleist hat, kann ich weiterführen.
Insbesondere ist mir die gute Zusammenarbeit mit den Partnern wichtig, diese möchte ich weiter stärken. Wir müssen gemeinsam in eine Richtung ziehen und für unsere Themen Mehrheiten finden. Dazu braucht es «Health in all policies». Es braucht wirksame Aktivitäten und auch klare, überzeugende Botschaften, die von den Akteuren der Gesundheitsförderung und Prävention verbreitetet werden.
Die Präventionsarbeit, und vor allem ihre Erfolge, müssen sichtbarer werden. Wir müssen mehr Akzeptanz für unsere Arbeit schaffen, damit auch die wirksamsten, nämlich die strukturellen Massnahmen, chancenreicher werden. Längerfristig wirken sich präventive Massnahmen kostendämpfend aus. Von Prävention profitieren also nicht nur Einzelpersonen, sondern die ganze Gesellschaft.
Wird es weitere Neuerungen geben?
Petra Baeriswyl: Wir werden mehr thematische Schwerpunkte setzen und unsere Kräfte fokussieren – das haben wir nun schon gemeinsam mit Roy aufgegleist. Die drei grösseren Schwerpunkte, die wir setzen, sind die Stärkung der psychischen Gesundheit, die Verminderung des Tabak- und Nikotinkonsums und die Reduktion von Übergewicht und Adipositas. Und natürlich bleibt auch die Strategie Sucht ein wichtiger Pfeiler, da wir mit dem Betäubungsmittelgesetz in diesem Bereich spezifische Zuständigkeiten haben. Die Viersäulenpolitik müssen wir pflegen und weiterentwickeln; die Angebote für Menschen mit Suchterkrankungen müssen stets weitergeführt und bei Bedarf angepasst werden.
Auf was freust du dich besonders?
Petra Baeriswyl: Roy hat immer gesagt, dass er den besten Job im BAG hat. Diesen darf ich nun übernehmen. Die Themen finde ich äusserst spannend – und sinnstiftend. Diese Sinnhaftigkeit wird von der ganzen Abteilung getragen. Ich freue mich besonders auf das, was Roy vorher genannt hat: Auf das «gemeinsam etwas erreichen». Ich freue mich aber auch auf schwierige politische Debatten. Weil diese braucht es – nur so kommen wir weiter.
Wo seht ihr zukünftige Herausforderungen?
Petra Baeriswyl: Der Tabakkonsum ist leicht rückläufig – gleichzeitig sehen wir, dass neue Tabakprodukte an Bedeutung gewinnen. Produkte wie E-Zigaretten sind attraktiv und es besteht ein Risiko, dass hier eine neue Generation von Abhängigen entsteht.
Beim Cannabis braucht es eine public-health-orientierte Regulierung – da ist es herausfordernd, die Balance zwischen allen Interessen zu finden. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass neue Regulierungen eine Verbesserung des aktuellen Zustandes bringen, und dass nicht mehr gesundheitliche Probleme geschaffen werden, als gegenwärtig bestehen.
Auch der Zunahme psychischer Belastungen bei Jugendlichen müssen wir auf den Grund gehen. Was genau hat dazu geführt? Und wie können wir darauf reagieren? Wir haben Hinweise auf verschiedene Ursachen – darunter Mobbing, Social Media oder Stress. Aber es braucht noch mehr Wissen. Gleichzeitig wurden kürzlich verschiedene Empfehlungen veröffentlicht, welche uns Hinweise geben, wo Handlungsbedarf besteht.
Roy Salveter: Die Alterung der Bevölkerung, von der wir schon seit langem sprechen, wird jetzt real. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren wird sie das Gesundheitswesen mit der Zunahme der chronischen Erkrankungen extrem herausfordern. Die Prävention, und insbesondere die Prävention in der Gesundheitsversorgung, hat hier enormes Potential. Eigentlich müsste das Gesundheitssystem und die Gesellschaft das Interesse haben, dass die Menschen lange gesund sind, nicht dass man sie «repariert». Davon sind wir aber noch sehr weit weg.
Roy, welchen Rat möchtest du Petra mitgeben?
Roy Salveter: Gesundheit ist ein komplexes System. Diese Komplexität muss immer bedacht werden und entsprechend mit den zahlreichen Akteuren eine Lösung gesucht werden. Trotz der Komplexität muss man immer dranbleiben. Ziel bleibt, dass die Menschen möglichst lange gesund leben können. Und dies können sie, indem nicht geraucht, wenig Alkohol getrunken, ausgewogen gegessen und viel bewegt (und genügend erholt) wird. Dies sind die einfachen Botschaften auf dieses komplexe System. Hier gilt es dran zu bleiben, an den richtigen Rädchen zu schrauben und sich bietende Chancen wahrzunehmen.
Jedenfalls wünsche dir, liebe Petra, als Abteilungsleiterin viel Freude, Geduld und Erfolg.
Petra Baeriswyl: Und ich wünsche dir, dass du die Zeit, die nun kommt, geniessen kannst und eine spannende, neue Herausforderung findest.
Die Redaktion von prevention.ch verschickt neu das «Thema des Monats», in dem sie ausgewählte Artikel von verschiedenen Akteuren, die auf der Plattform aktiv sind, präsentiert. Welches Thema würde Roy Salveter aufgreifen?
Roy Salveter: Das Thema Kraft. Immer mehr Studien zeigen, dass regelmässiges Krafttraining einen wichtigen und effizienten Beitrag zu Gesundheitsförderung leisten kann. Zudem ist die Wirkung relativ rasch spürbar, was positiv für die Motivation ist.
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