Digitale Helfer für die psychische Gesundheit von jungen Menschen
Können digitale Medien die psychische Gesundheit von jungen Menschen fördern? Zumindest die Bereitschaft, digitale Gesundheits-Helfer zu nutzen, ist bei jungen Menschen hoch. Anina Hanimann, Leiterin des Fachbereichs Gesundheitsförderung und Prävention bei der Interface AG, hat dazu geforscht. Im Interview spricht sie über ihre Forschungsergebnisse, über Jugendschutz und Regulierungen sowie über die Risiken von digitalen Helfern.

Artikeldetails
Zahlreiche Studien zeigen, dass viele junge Menschen psychisch belastet sind. Gleichzeitig nutzt diese Altersgruppe digitale Medien oft intensiv. Sind digitale Medien also eine Ursache für psychische Probleme?
Anina Hanimann: Bislang wissen wir nur wenig dazu, ob digitale Medien eine Ursache für psychische Probleme sind. Diese ursächlichen Zusammenhänge sind sehr schwierig zu untersuchen. Wir sehen allerdings, dass die Phänomene gleichzeitig auftreten: eine starke Nutzung sozialer Medien geht einher mit geringerem subjektiven Wohlbefinden oder höherem Stresslevel. Ursächliche Zusammenhänge sind aber unzureichend belegt. Es könnte auch sein, dass Personen bereits Probleme haben, und deswegen vermehrt digitale Medien nutzen. Eine neue Schweizer Studie von Mader et al. zeigt aber tatsächlich, dass der Rückgang vom subjektiven Wohlbefinden bei jungen Menschen zu einem gewissen Grad auch durch die Nutzung sozialer Medien erklärt werden kann. Aber diese Ergebnisse kann man nicht verallgemeinern.
Und warum nicht?
Gewisse Untergruppen von jungen Menschen sind verletzlicher oder haben eine höhere Anfälligkeit. Die vorher erwähnte Studie zeigt, dass dies junge Frauen und Mädchen aus Familien mit niedrigem oder mittlerem Bildungsstand sind. Bis zu einem Alter von etwa 18 Jahren sind Mädchen und junge Frauen also mutmasslich anfälliger für negative Effekte von der Nutzung digitaler Medien. Einfluss haben aber eben auch gewisse sozioökonomische Faktoren – das kennen wir auch aus anderen Studien.
Sollte die Mediennutzung von jungen Menschen reguliert werden?
Regulierung allein ist nicht ausreichend. Es ist sehr wichtig, dass wir über Mediennutzung sprechen. Aber nicht nur bei jungen Menschen. Gerade wir Erwachsenen haben teilweise eine Mediennutzung, die nicht ideal ist. Es braucht die Diskussion über Mediennutzung und die Förderung der Medienkompetenz. Das wird in der Schweiz auch schon gemacht, beispielsweise über die Plattform Jugend und Medien.
Braucht es Jugendschutz?
Ja. Allerdings ist es oft nicht einfach, diesen umzusetzen. Das haben wir kürzlich beim neuen Bundesgesetz zu Film- und Videospielen gesehen, das seit Anfang Jahr in Kraft ist. Die Hersteller müssen Altersgrenzen angeben und Kontrollen einführen. Das ist eine sehr wichtige Massnahme. Aber wie kann man diese Alterskontrolle – insbesondere im Online-Kontext – tatsächlich verlässlich umsetzen? Wie ist dies technisch umsetzbar?
Sind Massnahmen wie Handy-Verbote an Schulen sinnvolle Massnahmen?
Es kommt darauf an, was man mit so einem Verbot bezwecken will. Sollen Kinder und Jugendliche das Handy insgesamt weniger nutzen? Dann ist ein Verbot nicht unbedingt zuträglich. Ich verstehe aber, dass Schulen Massnahmen ergreifen. Handys lenken im Unterricht ab, das ist klar. Soweit ich mitbekommen habe, ist das medial breit thematisierte Handy-Verbot an Könizer Schulen gut akzeptiert. Es hat nur wenige negative Reaktionen von Eltern und Schülerinnen und Schülern gegeben. Das zeigt auch, dass ein gewisser Bedarf einer Regelung vorhanden ist. Viele Schulen haben Regelungen zum Umgang mit Handys. Ein Verbot kann man ja auch unterschiedlich ausgestalten, z.B.: im Unterricht ist die Nutzung verboten, aber in der Pause erlaubt. Ich denke, man muss das an der Schule miteinander diskutieren, auch mit den Schülerinnen und Schülern.
Die Schülerinnen und Schüler sollen einbezogen werden?
Jungen Menschen sind sich teilweise bewusst, was die Nutzung mit ihnen macht. Sie sehen die Problematik. Ich habe kürzlich im Zug bei einer jungen Person nachgefragt, ob die Handynutzung an ihrer Schule geregelt sei. Auch bei ihr war das geregelt und gut akzeptiert. Das ist ein anekdotisches Beispiel, aber es zeigt auch, dass junge Menschen durchaus verstehen und auch akzeptieren, dass es gewisse Massnahmen und Regeln braucht. Und wenn es darum geht, den Konsum grundsätzlich zu reduzieren, dann müssen sie einbezogen werden. Ein Verbot reicht da nicht. Es braucht ganzheitliche Ansätze, um junge Menschen zu sensibilisieren, was diese Inhalte mit ihnen machen.
Sie haben untersucht, wie digitale Helfer die psychische Gesundheit fördern können. Was sind Ihre zentralen Ergebnisse?
Wir haben festgestellt, dass die Bereitschaft bei jungen Menschen, digitale Helfer für ihre Gesundheit zu nutzen, relativ hoch ist (z.B. Apps, Websites, Wearables). Das gilt auch für die psychische Gesundheit, sprich bei Themen wie Entspannung, Stressreduktion oder Schlafstörungen. Die digitalen Helfer bieten vor allem zwei Potenziale:
- einen niederschwelligen Zugang zu Information und bis zu einem gewissen Grad zu schnellen Antworten,
- die Überbrückung von Wartezeiten auf eine weiterführende Behandlung in der psychiatrischen oder psychologischen Versorgung.
Letzteres gilt natürlich nicht für junge Menschen, die sich in einer akuten Krise befinden, stark suizidal sind oder schwerwiegende psychische Probleme haben. Aber in akuten Stresssituationen können digitale Helfer die Wartezeit bis zu einer allfälligen Behandlung überbrücken oder sogar zur Problemlösung führen.
Welche Effekte haben digitale Helfer?
Studien, die untersuchen, welchen Effekt digitale Helfer auf die psychische Gesundheit haben, zeigen eher geringe bis moderate Effekte – vor allem im Vergleich mit einem klassischen psychologischen oder psychotherapeutischen Angebot. Ein solches können digitale Helfer nicht ersetzen. Das muss aber auch nicht das Ziel sein. Manchmal hilft eine App vielleicht in einer akuten Phase, danach ist die Nutzung nicht mehr nötig. Die Frage aber bleibt, wie nachhaltig diese Wirkung sein kann.
Welche Arten von digitalen Helfern gibt es?
Um den Forschungsstand zu erkennen, haben wir vor allem Übersichtsarbeiten analysiert, also Arbeiten, die wiederum Einzelstudien berücksichtigt haben. Aufgrund dieser Studien haben wir grob unterteilt in Apps (z.B. die «Wie geht es dir»-App), Websites (z.B. wie feel-ko.ch), Online-Spiele oder auch Wearables, mit welchen man beispielsweise den Schlaf tracken kann.
Kann man sie in ihrer Wirkung vergleichen?
Das ist sehr schwierig. Die Studien sind sehr unterschiedlich aufgegleist, mit teils unterschiedlichen Studienpopulationen und unterschiedlichen Untersuchungsdesigns. Die meisten Studien untersuchen die Wirkung von Apps, dort haben wir am meisten Evidenz.
Ist das Angebot an digitalen Helfern für junge Menschen ausreichend?
Wir haben keine umfassende Angebotsanalyse gemacht. Was sich aber schon feststellen lässt: Die meisten digitalen Helfer auf dem Markt sind vor allem für Erwachsene entwickelt worden, nicht zwingend für oder mit jungen Menschen. Damit das Angebot für diese Zielgruppe wirklich stimmt, müsste man sie einbinden und ihre Lebenswelt besser berücksichtigen: Nutzen sie Apps? Oder suchen sie die Inhalte auf TikTok? Für junge Menschen ist auch schwierig, die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Angebote einzuschätzen. Es gibt sicher gute Angebote, insgesamt besteht bei wissenschaftlich fundierten Angeboten – eben solche deren Wirksamkeit tatsächlich belegt ist – für diese Zielgruppe aber Luft nach oben.
Welche Risiken bergen digitale Helfer?
Wenn die Qualität nicht stimmt, können digitale Helfer gar gefährlich werden. In Gesprächen haben junge Menschen auch Abhängigkeitsängste geäussert. Sie sehen das Risiko, dass sie von den digitalen Helfern nicht mehr loskommen. Auch das Risiko einer Isolation besteht: Man sucht sich die Hilfe nicht über das analoge soziale Netzwerk, sondern eben über die digitalen Helfer. Ein grosses, übergeordnetes Thema ist sicher der Datenschutz und Datenmissbrauch. Nicht immer ist klar, wer hinter einem Angebot steht, bei dem man persönliche und gesundheitsrelevante Informationen eingibt. So weiss man auch nicht, was mit diesen Daten geschieht. Und nicht zuletzt ist immer auch relevant, zu welchem Zeitpunkt in einer psychisch angespannten Lage solche Helfer von jungen Personen genutzt werden. Bei einer akuten Gefährdung, bei schwerwiegenden psychischen Störungen sind digitale Helfer nicht das richtige Mittel. Dann wären solche Helfer höchstens ergänzend zu einer Therapie sinnvoll.
Wann ist denn eine Therapie statt digitaler Hilfsmittel angebracht?
Das zu erkennen ist nicht immer einfach. Eigentlich wäre es wichtig, dass solche Helfer einen Mechanismus eingebaut haben, um Signale an die Nutzenden zu geben: «Hey, jetzt bist du hier nicht mehr richtig.»
Gibt es Apps, die Sie empfehlen?
Wir haben keine Apps spezifisch evaluiert. Aber es gibt verschiedene Angebote, hinter welchen seriöse Anbieter stehen und die auch wissenschaftlich begleitet werden. Dazu gehören die Ready4Life-App oder auch Angebote wie feel-ok.ch. Was sie dann tatsächlich bei den Nutzenden bewirken, bleibt mehrheitlich offen – diese Wirkungsnachweise sind sehr schwierig zu erbringen.
Wie können Fachpersonen (z. B. Lehrpersonen, Sozialarbeitende, Ärztinnen) digitale Helfer in ihre Arbeit einbinden?
Sicher als ergänzende Hilfsmittel. In der Schule erhalten Jugendliche mit digitalen Helfern einen anderen Zugang zu den Themen. Bei Therapien helfen sie, die Zeit neben punktuellen Kontakten zu überbrücken und unterstützen trotz Distanz. Digitale Helfer können im Versorgungsbereich auch zur Erinnerung eingesetzt werden oder die Kontaktaufnahme erleichtern. Schliesslich zeigen die von uns analysierten Studien, dass digitale Helfer vor allem dann wirksam sind, wenn sie hybrid organisiert sind – d.h. wenn etwa die Möglichkeit zu einer Kontaktaufnahme mit einer Fachperson geboten wird oder die Intervention gar durch solche begleitet wird.
Was möchten Sie Fachpersonen mitgeben?
Wer Angebote entwickelt, sollte Synergien nutzen. Die Entwicklung und auch die Bekanntmachung einer App ist enorm aufwändig. Wenn wir in der Fachcommunity solche Apps gemeinsam entwickeln, am gleichen Strang ziehen und begleitend evaluieren, lässt sich am meisten herausholen. Sicherlich müssen junge Menschen bei der Entwicklung solcher Angebote miteinbezogen werden – das ist bekanntlich eine grosse Herausforderung. Für wirksame Angebote müssen wir aber zwingend wissen, wie junge Menschen kommunizieren, wie sie diese Medien nutzen. Wir müssen verstehen, wie sich diese Personen in der digitalen Lebenswelt bewegen – das ist ganz essentiell für diese Angebote, damit die dann eben auch genutzt werden. Verschwinden unsere gut entwickelten Angebote in der Unendlichkeit des Webs, bringen sie niemandem was. Der Fokus auf das, was die Zielgruppe wirklich will und braucht, ist ganz wichtig.
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