Genussmittel: Wie viel darf es sein?
Sind Süssigkeiten, salzige Snacks und Alkohol mit einer nährstoffreichen, pflanzlich betonten Ernährung zu vereinbaren? Ja, sagt Kirsten Scheuer. Sie ist diplomierte Ernährungsberaterin HF und begleitet seit vielen Jahren auch Rheumabetroffene individuell bei der Umstellung ihrer Ernährung. «Ein Totalverzicht ist oft kontraproduktiv», weiss Kirsten Scheuer aus Erfahrung und verweist darauf, dass Genussmittel einen integralen Teil der offiziellen Ernährungspyramide bilden.
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Rheumaliga Schweiz: Was bedeutet die Position der Genussmittel ganz oben in der Lebensmittelpyramide?
Kirsten Scheuer: Die Lebensmittelpyramide ist so aufgebaut, dass alle Lebensmittel im unteren Bereich regelmässig und in grösseren Mengen gegessen werden sollen. Im obersten Abschnitt konzentrieren sich Lebensmittel mit einer höheren Energie- und einer geringeren Nährstoffdichte. Sie enthalten viele Kalorien, meist in Form gesättigter Fette oder schnell resorbierbarer Kohlenhydrate, aber weniger Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Grundsätzlich zeigt uns die Spitze der Pyramide, dass Genussmittel ihren Platz in einer gesunden Ernährung haben. Wenn die Basis stimmt, muss auf Schokolade, Guetzli und Co nicht verzichtet werden.
Rheumaliga Schweiz: Was geschieht in unserem Körper, wenn wir viel und häufig Süsses essen wie Schokolade, Glace, Torten, Kuchen, Guetzli, Schokonussaufstriche und dergleichen?
Kirsten Scheuer: Der Verzehr süsser Lebensmittel veranlasst das Gehirn, das Glückshormon Dopamin auszuschütten. Zudem haben unsere Vorfahren früh erkannt, dass süsse Früchte eine gute Energiequelle und niemals giftig sind. Daher gibt uns unser Gehirn auch heute noch das Signal: «So viel wie möglich davon essen!» Wenn wir nun regelmässig in grossen Mengen Genussmittel zu uns nehmen, speichert unser Körper den Energieüberschuss. Kohlenhydrate werden einerseits in Form von Glykogen in Muskeln und der Leber gespeichert, und andererseits, wenn die Glykogenspeicher bereits voll sind, in Fett umgewandelt. Dieses wird als Bauchfett gespeichert und fördert entzündliche Prozesse.
Rheumaliga Schweiz: Immer wieder liest man, dass Zucker süchtig mache, die Leber belaste, der Darmflora schade, das Immunsystem schwäche und dergleichen mehr. Sollte man bei einer Autoimmunerkrankung nicht besser Zucker ganz meiden?
Kirsten Scheuer: Auf Zucker ganz zu verzichten, ist praktisch schwierig und meiner Meinung nach auch nicht nötig. Zucker ist ein Allrounder. Er dient als Geschmacksträger und Würzmittel, unterstützt die Haltbarmachung sowie die natürliche Entwicklung von Farbe und Aroma, ausserdem beschleunigt Zucker bei hefehaltigen Nahrungsmitteln die Gärprozesse. Problematisch ist der Verdrängungswettbewerb! Wenn ein hoher Zuckerkonsum die nährstoffreichen Lebensmittel vom Speiseplan verdrängt, kommen viele wichtige entzündungshemmenden Faktoren zwangsläufig zu kurz. Besteht aber die eigene Lebensmittelauswahl aus vielen naturbelassenen Produkten und so wenig gezuckerten Getränken wie möglich, dann steht auch einem süssen Dessert nichts im Weg.
Rheumaliga Schweiz: Die zweite Gruppe in der Spitze der Ernährungspyramide bilden die salzigen Snacks wie Apérogebäck, Pommes Chips, Salzbretzeli und dergleichen. Was ist an diesen Genussmitten so schlimm, abgesehen vom vielen Salz?
Kirsten Scheuer: Salzige Snacks verleiten durch ihre Knusprigkeit zum wiederholten Zugreifen und enthalten meist viele Kalorien und gesättigte Fettsäuren, die im Körper als Depotfett eingelagert werden. Beide Faktoren fördern die Gewichtzunahme und damit auch Entzündungen. Oft steigert der Konsum von Knabbereien zusätzlich die Lust auf Alkohol. Durch den Alkoholkonsum werden Nervenzellen im Gehirn stimuliert, die dann das Signal «Hunger» aussenden. Das Aussenden der Botenstoffe führt dann zu erneutem Zugreifen.
Rheumaliga Schweiz: Was kann man sich leichter abgewöhnen, zu viel Zucker oder zu viel Salz? Und welche Strategien können Sie empfehlen?
Kirsten Scheuer: Ob sich ein hoher Salz- oder ein hoher Zuckerkonsum leichter abgewöhnen lässt, ist abhängig von der Form der Zufuhr. Ist der Salzkonsum aufgrund gewohnheitsmässigen Nachsalzens hoch, lassen sich hier schnell gute Alternativen wie zum Beispiel frische Kräuter oder Gewürze finden. Liegt der Salzverzehr aber eher am Konsum salziger Lebensmittel, braucht es geeignete Strategien. Das gilt auch für die Reduktion von Zucker. Ich empfehle die Strategie des Sich-bewusst-machens: Zuerst muss ich meine Gewohnheiten kennen und wahrnehmen. Dann gilt es, zu überlegen, welche Strategien zum Ziel führen und wie sie umgesetzt werden. Ernährungsfachleute bieten hierbei Hilfe durch individuelle Begleitung.
Rheumaliga Schweiz: Wie viel und in welcher Form ist Alkohol mit einer gesunden Ernährung vereinbar?
Kirsten Scheuer: Durch Empfehlungen sollte niemand zum Alkoholkonsum verleitet werden! Oft werde ich jedoch danach gefragt. Fachleute sind sich einig, dass maximal zwei Standardgläser pro Tag für Männer und ein Standardglas pro Tag für Frauen als risikoarmer Alkoholkonsum gilt. Zudem empfiehlt es sich, mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einzulegen und alkoholische Getränke bevorzugt zur Mahlzeit zu geniessen. Als Standardglas gilt 3 dl Normalbier oder Apfelmost bzw. 1 dl Wein.
Rheumaliga Schweiz: Gelten diese Empfehlungen auch für gichtanfällige Personen? Oder sollten diese vorsichtiger sein?
Kirsten Scheuer: Alkohol in grossen Mengen steigert die Bildung von Harnsäure und hemmt ihre Ausscheidung über verschiedene Mechanismen. Eine Aufnahme von mehr als 100 Gramm Alkohol pro Tag (etwa 2,5 Liter Bier oder 5 Gläser Wein) lässt den Harnsäurespiegel im Blut deutlich ansteigen. Besonders kritisch ist Bier zu betrachten, denn es enthält Purine, insbesondere Hefeweizenbier und ähnliche Sorten. Alkoholfreies Bier enthält ebenso viele Purine wie normales; Wein dagegen ist purinfrei. Menschen mit Gicht oder einer Hyperurikämie (erhöhten Harnsäurewerten) sollten ihren Alkoholkonsum stark einschränken oder besser ganz auf alkoholische Genussmittel verzichten.
Rheumaliga Schweiz: Es gibt Erfahrungsberichte von Rheumabetroffenen, die mit einer strengen Eliminationsdiät verblüffende Ergebnisse erzielt haben. Kann es nicht auch eine sinnvolle Strategie sein, ganz auf Genussmittel zu verzichten, wenigstens zeitweilig? Vielleicht bringt man sich mit Kompromissen gerade um den durchschlagenden Erfolg?
Kirsten Scheuer: Ja, eine Eliminationsdiät kann zur Schmerzreduktion führen. Allerdings kann das Weglassen ganzer Nahrungsmittelgruppen über längere Zeit den Körper schwächen. Daher sollte man Eliminationsdiäten nur unter ärztlicher oder therapeutischer Begleitung durchführen. Ob ein Verzicht auf Genussmittel einen Erfolg bringt, ist immer von der ganzen Ernährungssituation abhängig.
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