«Ich interessiere mich für Menschen und ihre Lebensgeschichten»

Eine freiwillige Mitarbeiterin vom Angebot «malreden» erzählt im Interview von ihrer Tätigkeit. Etwa drei Stunden pro Woche unterhält sie sich am Telefon mit Personen, die sich einsam fühlen. Gleich wie die Anrufenden bleibt sie in den Gesprächen anonym. Sie ist überzeugt, dass «malreden» für einsame Menschen eine heilsame und wichtige Hilfestellung sein kann und hofft, dass das Angebot die Öffentlichkeit weiter für Einsamkeit im Alter sensibilisiert.

Telefonangebot malreden
Die freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «malreden» bleiben anonym.

Artikeldetails

Warum engagieren Sie sich bei «malreden»?

Ich bin sehr dankbar für mein Leben und möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Das kann ich mit einer sinnvollen Freiwilligenarbeit. Da ich mich für Menschen und ihre Lebensgeschichten interessiere, bin ich hier am richtigen Platz. Einige Anrufe sind herausfordernd, andere berührend und wieder andere erfreulich. Die Rückmeldungen der Anrufenden zeigen mir, wie sehr unser Angebot geschätzt wird. Diese Wertschätzung erhalte ich auch von der Geschäftsstelle. Das ist sehr motivierend und bringt Sicherheit. Ich weiss, dass ich jederzeit Unterstützung holen kann, sei es bei der Geschäftsleitung oder in der Supervision. So fühle mich rundum sehr gut betreut. Die Mitarbeit bei «malreden» ist meine erste und einzige ehrenamtliche Tätigkeit.

Können Sie Ihre Arbeit etwas beschreiben?

Die meisten Menschen rufen an, weil sie einsam sind, andere, weil sie eine Gesprächspartnerin oder einen Gesprächspartner «auf Augenhöhe» suchen. Einige tragen eine sehr schwere Bürde und wünschen sich Anteilnahme und Verständnis für ihren Schmerz. Wir haben auch Anrufende, die einfach ihr Glück teilen möchten. Viele treue Kundinnen und Kunden telefonieren regelmässig und lassen die Freiwilligen an ihrem Alltag teilhaben. Die Redezeit ist auf 20 Minuten und auf einmal täglich begrenzt, so dass möglichst viele Menschen unser Alltagstelefon nutzen können.

Welche Gemeinsamkeiten beobachten Sie bei den Menschen, die anrufen?

Eine schwierige Frage… Ich denke, letztlich ist es schon die Einsamkeit.

Reden die Anrufenden über die Einsamkeit oder über andere Dinge, die sie beschäftigen?

Nicht alle Anrufenden sprechen über ihre Einsamkeit, alle jedoch erzählen uns, was sie gerade beschäftigt oder freut. Einige Menschen reden immer wieder über die gleichen Probleme. Sei es über ihre Leiden, ihre psychischen Schwierigkeiten, ihren Ärger, ihre Ängste oder eben über ihre Einsamkeit. Alle haben ihre eigenen Themen, die sie beschäftigen.

Stellen Sie bei Ihrer Arbeit saisonale Unterschiede fest?

Nicht wirklich, in der Weihnachtszeit dürfte die Zahl der Anrufe allerdings etwas höher sein.

Sowohl Anrufende wie auch Sie selbst bleiben bei den Telefonaten anonym. «malreden» bietet aber ja auch Gesprächstandems an: Vermitteln Sie da Personen?

Wenn ich den Eindruck habe, eine Anruferin oder ein Anrufer ist in einem Gesprächstandem mit einem gleichbleibenden Gesprächspartner oder einer Gesprächspartnerin besser aufgehoben, dann schlage ich diese Möglichkeit vor. Unsere Geschäftsleitung versucht dann, die Anrufenden mit den jeweils passenden «malreden»-Freiwilligen zu matchen. Auch im Gesprächstandem bleiben Freiwillige und anrufende Personen anonym.

Könnte man nicht auch verschiedene Anrufende zusammenbringen?

Das glaube ich eher nicht. Eine Studie zeigt, dass Einsame mit Einsamen nicht zusammengebracht werden können, weil bei allen das Redebedürfnis gross ist und niemand zuhört. Hier setzt «malreden» an, es ist unsere Aufgabe, aufmerksam zuzuhören. Zudem stelle ich fest, dass einige Anrufende übersteigerte Erwartungen haben und sich zum Beispiel eine Freundin wünschen, die nur für sie da ist. Solche Ansprüche lassen sich kaum erfüllen, die Enttäuschung ist vorprogrammiert. In einem Artikel über Einsamkeit, den die Uni Bern im «uniaktuell» veröffentlich hat, steht ein Satz, den ich als sehr wichtig erachte: «Weil Einsamkeit verschiedene Ursachen hat, gibt es auch kein Patentrezept, das auf alle Betroffenen angewendet werden kann.» So ist es wohl: «malreden» kann nicht allen, aber vielen das Leben ein klein wenig leichter machen.

Geben Sie den Anrufenden irgendwelche Tipps?

Nach Möglichkeit nicht, denn wir sind nicht psychologisch geschult, dafür gibt es andere geeignete Anlaufstellen. Manchmal fragen mich die Anrufenden nach meiner Meinung, dann sage ich auch schon mal, wie ich eine Sache sehe – immer mit dem Hinweis, dass das meine ganz persönliche Sicht ist.

Erzählen Sie den Anrufenden manchmal auch von sich oder hören Sie nur zu?

Ja, wenn es sich ergibt, erzähle ich auch mal über meine eigenen Erfahrungen. Meine Hauptaufgabe ist jedoch das wertfreie Zuhören.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Gespräche einen Einfluss auf die Menschen haben? Wie merken Sie das?

Einige Menschen erzählen immer wieder die gleiche Geschichte, so weiss ich nicht, was unser Gespräch effektiv bewirkt. Keine grossen Veränderungen feststellen zu können, erachte ich als eine der grössten Herausforderung in meiner Tätigkeit. In der Schulung, die wir vor unserem «malreden»-Einsatz absolvieren, werden wir auf solche Situationen vorbereitet. Über Schwierigkeiten und Probleme reden zu können, kann jedoch grundsätzlich Entlastung bringen. Das zeigt auch die Tatsache, dass diese Menschen immer wieder anrufen. Wir «malreden»-Freiwilligen bekommen oft zu hören, wie wichtig unser Angebot für sie ist.

Was macht den Unterschied von «allein sein» und «einsam sein»?

Für mich persönlich bedeutet allein sein einen freiwilligen Rückzug von Freunden und Familie, die für mich jederzeit erreichbar sind. Wer einsam ist, kann seine Freuden und Leiden mit niemandem teilen. Das stelle ich mir extrem schmerzhaft vor. Deshalb bin ich auch überzeugt, dass das Angebot «malreden» eine heilsame und wichtige Hilfestellung sein kann.

Gibt es ein bestimmtes Gespräch oder eine Erfahrung, die Sie besonders berührt hat?

Ja, ein Gespräch mit einem Mann. Er rief an, während seine Frau aus dem Haus war und erzählte von seinen grossen Sorgen mit seinem Sohn, über die er mit seiner Frau nicht sprechen kann.

Was sagen Sie jemandem, der zögert, sich bei «malreden» zu melden – sei es als Anrufer oder als Freiwilliger?

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass ich niemanden zu seinem Glück zwingen kann, denn ich weiss ja nicht, was für andere richtig und gut ist. Betroffene würde ich über die Möglichkeit von «malreden» informieren und sie dazu ermutigen, das Angebot zu testen. Freiwilligen erzähle ich von meiner befriedigenden und spannenden Tätigkeit bei «malreden».

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Projekts?

Dass noch mehr Kantone und Organisationen das hilfreiche «malreden»-Angebot finanziell unterstützen und bekannt machen, damit möglichst viele Menschen «malreden» kennenlernen. Und dass wir dazu beitragen können, die Öffentlichkeit weiter für Einsamkeit im Alter zu sensibilisieren.

Können Sie aufgrund der Gespräche vielleicht Tipps geben, wie man Einsamkeit vorbeugen kann?

Tipps zu geben, ist sehr schwierig. Die einsamen Menschen sind überflutet von Tipps, sie wissen, was sie tun müssten. Zum Beispiel an Pro Senectute-Kursen teilnehmen, in Kirchgemeinden mithelfen, Ausstellungen besuchen oder online eine Freundin suchen... Es gibt mehrere Angebote, nur braucht es die Kraft und den Mut, diese auch wahrzunehmen. Das fehlt den meisten Anrufenden. Einige können und wollen nicht mehr aus dem Haus, andere sind psychisch krank oder so verzweifelt, dass es ihnen unmöglich ist, Schritte zu unternehmen. Kürzlich sprach ich mit einer Frau, die mir gleich zu Beginn sagte, ich solle ihr keine Tipps geben, sie kenne die alle zur Genüge, sie sei einfach einsam, wirklich einsam. Ich bewundere diese Frau, dass sie die Kraft hat, «malreden» anzurufen.

Was lernen Sie aus den Gesprächen für sich selbst?

Dankbarkeit. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich in meiner Familie und in einem Freundeskreis eingebettet bin.

malreden ist ein telefonisches Gesprächsangebot des Vereins Silbernetz Schweiz für ältere Menschen, das täglich von 9 - 20 Uhr unter der Gratisnummer 0800 890 890 erreichbar ist. Geschulte Freiwillige hören zu und ermutigen zur Selbsthilfe. Das dreiteilige Angebot besteht aus einem Alltagstelefon, einem Gesprächstandem und der Infovermittlung zu weiteren passenden Angeboten. Alle Anrufe sind kostenlos, anonym und vertraulich. malreden versteht sich als niederschwellige Ergänzung zu den bestehenden Angeboten des Sozial- und Gesundheitswesens und entlastet Akteure im Bereich Alter. www.malreden.ch

Neue Aktivitäten fehlen?

Arbeiten Sie in einer Behörde / NPO / sonstigen Organisation im Bereich der Prävention, dann haben Sie hier die Möglichkeit ...

  • Artikel schreiben
  • Bilder herunterladen
  • Adressverzeichnis nutzen

Sie besitzen bereits ein Konto? Jetzt einloggen

Nach oben scrollen