„Psychische Gesundheit im Jugendalter und Substanzkonsum hängen eng zusammen“
Xenia Anna Häfeli forscht an der Universität Bern, wie die psychische Gesundheit und das Konsumverhalten im Jugendalter zusammenhängen. Im Interview erklärt sie, wieso Jugendliche und junge Erwachsene oft intensiv Substanzen konsumieren und welche psychischen Störungen häufig mit Substanzkonsum einhergehen. Prävention müsse früh ansetzen. Denn bis Mitte 20 befinde sich das Gehirn in der Reifung: Substanzen beeinflussen das Belohnungssystem und die langfristige Kontrolle des Konsums negativ.
Artikeldetails
Mit dem Beginn der Pubertät steigt der Substanzkonsum sprunghaft an. Warum?
Xenia Anna Häfeli: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der sprunghafte Anstieg des Substanzkonsums mit Beginn der Pubertät hängt mit der Entwicklung des Gehirns, hormonellen Veränderungen und sozialen Einflüssen zusammen. Während der Pubertät entwickelt sich das Gehirn nicht gleichmässig. Insbesondere das limbische System, zu dem das Belohnungssystem gehört, entwickelt sich schneller als der präfrontale Kortex, der für die Impulskontrolle zuständig ist. Die verzögerte Reifung erklärt, warum Jugendliche oft impulsiver und risikoreicher handeln und weniger an die langfristigen Konsequenzen ihres Handelns denken. Gleichzeitig suchen Jugendliche verstärkt nach Zugehörigkeit und Identität. Substanzen können in Peer-Gruppen eine Rolle spielen, etwa um akzeptiert zu werden oder Gruppenzugehörigkeit zu signalisieren. Darüber spielt auch der Einfluss von Peers, Medien und die Verfügbarkeit der Substanzen eine Rolle.
In der Adoleszenz konsumieren Menschen oft intensiver als in anderen Lebensphasen. Können Sie das erläutern?
Neben der Entwicklung des Gehirns spielen hier auch soziale und emotionale Faktoren eine Rolle. Jugendliche stehen oft unter emotionalem und sozialem Druck, sei es durch Schule, Freundschaften oder die Suche nach ihrer Identität. Studien zeigen, dass viele junge Menschen Substanzen als Bewältigungsstrategie nutzen um mit Stress, sozialen Unsicherheiten oder emotionalen Herausforderungen umzugehen. Des Weiteren wollen Jugendliche unabhängig sein und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Substanzkonsum kann ein Weg sein, um diese Autonomie zu demonstrieren, selbst wenn es riskant ist. Werden Substanzen bereits in der frühen Pubertät ausprobiert, kann der fortgesetzte Konsum zu intensiveren Mustern führen.
Sie sprechen auch von «Substanzkonsumstörung». Was verstehen Sie genau darunter?
Eine Substanzkonsumstörung ist eine psychische Störung, die durch problematischen Konsum psychoaktiver Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Cannabis oder anderen Drogen gekennzeichnet ist. Sie führt zu Beeinträchtigungen im Alltag und wird anhand von Kriterien wie Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und negativen Auswirkungen auf soziale und schulische respektive berufliche Bereiche diagnostiziert. Substanzkonsumstörungen werden je nach Anzahl der Kriterien in leicht, mittel oder schwer eingeteilt und umfassen ein Spektrum von problematischem Gebrauch bis hin zur Abhängigkeit.
Warum besteht bis zum Alter von 25 Jahren das höchste Risiko für eine Substanzkonsumstörung?
Weil in dieser Phase viele Menschen Substanzen ausprobieren und der Übergang von gelegentlichem Konsum zu problematischem Konsum fliessend ist. Das Gehirn ist bis Mitte 20 besonders anfällig, da es sich noch in der Reifung befindet. Dadurch können Substanzen tiefgreifendere Auswirkungen auf das Belohnungssystem und die langfristige Kontrolle des Konsums haben.
Mehrere Studien zeigen, dass psychische Störungen und Substanzkonsum oft einhergehen. Haben Sie dies auch in Ihrer Forschung beobachtet?
In unserer Forschung beschäftigen wir uns vor allem mit dem subklinischen Bereich von psychischen Störungen, um die Früherkennung und Prävention zu verbessern. Der subklinische Bereich umfasst Symptome oder Auffälligkeiten, die unterhalb der diagnostischen Schwelle für eine voll ausgeprägte psychische Störung liegen. Menschen in diesem Bereich zeigen also bereits psychische Probleme, erfüllen aber nicht alle Kriterien für eine klinische Diagnose nach gängigen Klassifikationssystemen. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Jugendliche mit psychischen Problemen bereits ein höheres Risiko für problematischen Substanzkonsum haben als Jugendliche ohne psychische Probleme. Substanzen werden häufig zur Linderung der eigenen Symptome eingesetzt, gleichzeitig können Substanzen bestehende psychische Probleme verschlimmern oder neue Probleme auslösen.
Gibt es gewisse psychische Störungen, die besonders oft mit Substanzkonsum in Verbindung gebracht werden?
Ja, vor allem Angststörungen, Depressionen, ADHS und Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind häufig mit Substanzkonsum assoziiert. Bei Jugendlichen mit ADHS sehen wir beispielsweise oft einen frühen Einstieg in den Substanzkonsum, möglicherweise als Versuch, Impulsivität oder innere Unruhe zu regulieren. Depressionen und Angststörungen erhöhen ebenfalls das Risiko, da Betroffene oft versuchen, ihre negativen Emotionen oder sozialen Unsicherheiten durch Substanzen zu lindern. Auch Persönlichkeitsstörungen, insbesondere Borderline-Störungen, sind oft mit problematischem Substanzkonsum verbunden.
Wie könnte die Prävention von Sucht in jungen Jahren verbessert werden?
Prävention sollte früh ansetzen und auf mehreren Ebenen wirken: Die Prävention von Sucht in jungen Jahren kann durch frühzeitige Aufklärung, die Förderung von Lebenskompetenzen und den Aufbau von Schutzfaktoren verbessert werden. Jugendliche sollten lernen, mit Stress und Peer-Druck umzugehen und gesunde Alternativen wie Sport oder kreative Aktivitäten nutzen können. Gleichzeitig müssen Eltern, Schulen und Gemeinschaften zusammenarbeiten, um offene Kommunikation, positive Vorbilder und Zugangsbeschränkungen für Substanzen sicherzustellen. Präventionsprogramme sollten individuell angepasst und wissenschaftlich fundiert sein, um nachhaltig Wirkung zu erzielen.
Bestehen für Jugendliche mit problematischem Substanzkonsum ausreichend Angebote?
Viele Jugendliche suchen erst Hilfe, wenn ein Problem bereits stark ausgeprägt ist. Es gibt bereits gute Ansätze, um früher einzugreifen, zum Beispiel über spezialisierte Beratungsstellen oder niedrigschwellige Angebote wie Online-Programme. Dennoch gibt es Lücken: Besonders fehlt es an systematischen Screening-Programmen, um gefährdete Jugendliche frühzeitig zu identifizieren, und an niedrigschwelligen, anonymen Zugängen, die für Jugendliche leichter nutzbar sind. Viele bestehende Programme sind nicht individuell genug auf die Bedürfnisse der Jugendlichen abgestimmt, etwa bei kulturellen Hintergründen oder psychischen Begleiterkrankungen. Auch die Verzahnung von Jugendhilfe, Schulen und Gesundheitssystemen kann noch verbessert werden, um Jugendliche in einem Netzwerk aus Unterstützung aufzufangen.
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