Soziale Arbeit in der Schule: «Löscharbeiten allein reichen nicht»
Uri Ziegele, Programmleiter und Dozent des CAS Soziale Arbeit in der Schule, spricht darüber, warum Interventionen bei (bio)psychosozialen Problemen an Schulen nicht ausreichen – und welche Rolle Prävention sowie Früherkennung in der Schule spielen.
Artikeldetails
1. An welche Personen richtet sich das CAS Soziale Arbeit in der Schule?
An alle, die ihre praktische Tätigkeit bezüglich Sozialer Arbeit in der Schule methodisch und theoretisch fundieren möchten. Wir pflegen eine interaktive Auseinandersetzung über Ziele und Zielgruppen, Funktionen und Methoden, Grundprinzipien und Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit in der Schule. Dabei orientieren wir uns an der ganzen Lebenswelt der Anspruchsgruppen. Das CAS richtet sich an Fachpersonen der Sozialen Arbeit, die schon in diesem Handlungsfeld tätig sind oder in der Schulsozialarbeit Fuss fassen wollen. Zudem interessieren sich auch Schulleitende, Lehrer*innen und andere Personen für die Soziale Arbeit in der Schule.
2. Die Schulsozialarbeit kommt meist dann zum Einsatz, wenn es irgendwo brennt. Warum soll und kann die Soziale Arbeit mehr als eine «schulische Feuerwehr» sein?
Man hat erkannt, dass die Brandherde trotz Schulsozialarbeit oftmals weiterschwelen. Es braucht also mehr als Löscharbeiten. Nebst der nicht wegzudenkenden Behandlung von (bio)psychosozialen Problemen haben die Funktionen Prävention und Früherkennung eine nachhaltigere Wirkung, da gewisse Probleme gar nicht entstehen oder sehr früh erkannt und behandelt werden können.
3. Wie weit ist die präventive Soziale Arbeit in der Schule in der Schweiz heute – und wo sehen Sie Handlungsbedarf?
In erster Linie interveniert die Soziale Arbeit in der Schule nach wie vor bei manifesten Problemen; Prävention wird in der Schweiz meist zweitrangig behandelt. Aus meiner Sicht sollte sie jedoch einen höheren Stellenwert in der Schule erhalten. Und zwar nicht nur die Verhaltensprävention – also beispielsweise, dass ein Kind nicht schlägt –, sondern auch die Verhältnisprävention, die sich mit spezifischen Massnahmen an die sozialen Systeme in der Lebenswelt der Anspruchsgruppen richtet. Die Früherkennung fehlt teils gänzlich in den Konzepten der Schulsozialarbeit. Hier ginge es darum, dass sich Lehrpersonen und die Schulsozialarbeit diagnostisch mit der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen – und das nicht nur bezüglich ihrer Probleme, sondern auch hinsichtlich ihrer Ressourcen und Potentialen.
4. Das CAS zeigt Möglichkeiten auf, präventive Konzepte besser zu integrieren und wirkungsvoll einzusetzen. Können Sie ein konkretes Beispiel für eine sinnvolle und praxistaugliche Präventionsmassnahme nennen?
Es gibt – nebst der klassischen spezifischen Prävention – zum Beispiel den Klassenrat, bei dem die Klassen regelmässig über anstehende Themen diskutieren und gemeinsam nach Lösungen suchen. Oder Modelle, bei denen Kinder andere Kinder unterstützen. Alles, was die Selbst- und Sozialkompetenzen stärkt, ist präventiv sehr wertvoll. In Bezug auf die Verhältnisprävention erinnere ich mich an eine Schule, an der Gewalt stetig zunahm. Statt zuerst bei den Einzelnen das Verhalten ändern zu wollen, wurde eine Neugestaltung des Pausenplatzes unter Mitwirkung der Jugendlichen angeregt. Das war präventiv wirkungsvoller, als mit einzelnen Personen zu arbeiten.
5. An vergangenen CAS-Programm nahmen Fachpersonen aus der Sozialpädagogik, der Soziokultur, der Sozialarbeit sowie Lehrpersonen teil: Welche Chancen und Herausforderungen bringt diese Vielfalt mit sich?
Ich bin ein Verfechter einer Differenzmaximierung, die die Spielräume von Schule und Sozialer Arbeit erweitern. Die unterschiedlichen Berufsfelder und Professionen haben zudem viele Überschneidungen. Der Austausch bereichert den Unterricht und fördert eine zukünftige Interdisziplinarität, ohne die Schulsozialarbeit nicht funktioniert. Die Herausforderung unserer Zeit ist meines Erachtens, wie die unterschiedlichen Fachpersonen den Lern- und Lebensort Schule partizipativ mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Erziehungsberechtigten gemeinsam gestalten und wie wir alle mehr Verantwortung für uns und die Welt übernehmen können.
Uri Ziegele ist seit 2011 Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Vorher war er als Schulsozialarbeiter tätig, kennt aber auch die beruflichen Herausforderungen einer Lehrerperson und eines Soziokulturellen Animators. In unterschiedlichen Forschungsprojekten evaluierte er die Schulsozialarbeit in verschiedenen Regionen und hat mit anderen Dozierenden das Luzerner Modell für die Soziale Arbeit in der Schule entwickelt.
Im CAS-Programm Soziale Arbeit in der Schule werden die unterschiedlichen Perspektiven von Schule und Sozialer Arbeit sorgfältig beleuchtet und in ein ganzheitliches Aufgabenverständnis integriert. Dabei geht es darum, die Soziale Arbeit in der Schule ihren drei grundlegenden Funktionen Prävention, Früherkennung und Behandlung von (bio)psychosozialen Problemen zuzuordnen und sie als verbindlichen Auftrag der Systeme «Schule» und «Soziale Arbeit» zu verankern.
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