Suchtprävention in Gemeinden - Interview mit Gabriela Widmer
An der Stakeholderkonferenz Sucht spricht Gabriela Widmer von Radix darüber, wie soziale Netzwerke in der Gemeinde gestärkt werden können. Und warum sich das auszahlt: Weil soziale Ressourcen die psychische und physische Gesundheit stärken. Im Interview erzählt sie, wie sich Gemeinden in der Suchtprävention engagieren und davon profitieren können.
Artikeldetails
Warum haben Gemeinden in der Suchtprävention eine wichtige Rolle?
Gabriela Widmer: Die Gemeinde ist der Ort, wo die Menschen leben. Dort, wo für diese Menschen Probleme entstehen, aber auch dort, wo diese aufgefangen werden können.
Gemeinden können mit Hilfe einer zielgerichteten und professionellen Suchtprävention effektiv und effizient handeln. Gute Rahmenbedingungen wirken dem missbräuchlichen Konsum von Substanzen und dem Suchtverhalten entgegen und fördern allgemein die Gesundheit der Bevölkerung. Diese Rahmenbedingungen können Gemeinden aktiv gestalten.
In welchen Handlungsfelder können Gemeinden aktiv werden?
Wichtige Handlungsfelder sind die Schulen, die offene Kinder- und Jugendarbeit, der Altersbereich, die Polizeiarbeit, die Familien und Vereine, aber auch die Gastronomie oder der Detailhandel. Nicht zuletzt kann auch über die Gestaltung des öffentlichen Raums suchtpräventive und gesundheitsfördernde Arbeit geleistet werden. Dies sind alles Bereiche, auf welche die Gemeindepolitik einen Einfluss hat.
In vielen Kantonen sind die Gemeinden von Gesetzes wegen für die kommunale Gesundheitsförderung und Prävention zuständig. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kanton Graubünden. Jede Gemeinde verfügt über eine/n Beauftragte/n für Gesundheitsförderung und Prävention, welche/r für den Themenbereich zuständig ist und sich für die politischen Schwerpunkte einsetzt.
Was können Gemeinden zur Suchtprävention unternehmen?
Bei der Gesundheitsförderung und Prävention auf Gemeindeebene stehen die strukturellen Bedingungen im Vordergrund. Diese tragen als soziale, rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen nachhaltig dazu bei, dass weniger Probleme entstehen und die Gesundheit gefördert wird. Die Gemeinden können eine steuernde und koordinierende Rolle einnehmen, beispielsweise durch den Aufbau einer Präventionskommission.
Was ist die Aufgabe einer kommunalen Präventionskommission?
Dabei geht es vor allem darum, dass die verschiedenen Akteure für das Thema Sucht sensibilisiert und miteinander vernetzt werden. Das können zum Beispiel Fussballcoaches, Leitende einer Fachstelle Alter, Personen aus der Jugendarbeit, Schulleitende oder Wirte sein. Darauf aufbauend entstehen Kooperationen unter den beteiligten Akteuren, welche wiederum zu einer verbindlichen und effizienten Umsetzung von Massnahmen führen.
Und wie werden Massnahmen bestimmt?
Es ist sinnvoll, wenn Präventionsmassnahmen vor allem diejenigen Themen in den Fokus nehmen, bei denen in einer Gemeinde noch Lücken bestehen. Dies gelingt zum Beispiel mit einer Situationsanalyse, anhand welcher ein massgeschneiderter Massnahmenplan erstellt werden kann. Dieser wird am besten in einem partizipativen Prozess erarbeitet, in den sich die Bevölkerung und die relevanten Akteure miteinbringen können. Dabei können sowohl verhaltens- wie auch verhältnisorientierte Massnahmen ausgearbeitet werden. Beispielsweise können die Akteure im Altersbereich darin unterstützt werden, einen problematischen Konsum von bestimmten Medikamenten bei Seniorinnen und Senioren frühzeitig zu erkennen und adäquat zu handeln.
Damit das politische Commitment sowie die erarbeiteten Massnahmen nachhaltig sind, sollte ein Präventionsbudget verabschiedet und die Massnahmen sorgfältig umgesetzt und ausgewertet werden.
Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf?
Auf der kommunalen Ebene kann das soziale Umfeld in der Suchtprävention stärker mitgedacht werden. Die Gestaltung des Lebensumfelds hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit. Hier können wichtige Rahmenbedingungen für ein gesundes Lebensumfeld und eine hohe Lebensqualität geschaffen werden.
Was bringt ein gutes soziales Umfeld konkret?
Ein aktives Sozialleben (Partizipation, Teilhabe) und gut funktionierende lokale Netzwerke sind Quellen sozialer Unterstützung. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Gesundheit, dem Aufsuchen ärztlicher Dienste und dem Vorhandensein von Unterstützung im Alltag (Bekannte, Nachbarn, Freiwillige etc.). Investitionen in die Förderung sozialer Netzwerke lohnen sich, denn soziale Ressourcen tragen zum Wohlbefinden sowie zur psychischen und physischen Gesundheit bei. Alles Schutzfaktoren, die das Suchtrisiko vermindern und letztlich Folgekosten einsparen.
Was bedeutet dies für die Suchtprävention?
Wenn Gemeinden die Koordination unter den lokalen Akteuren fördern, sensibilisieren und die Bevölkerung einbeziehen, können sie zu einem solidarischen Zusammenleben über alle Generationen hinweg beitragen. Zu einem Zusammenleben, bei dem eine Sorgekultur geschätzt und gefördert wird. Diese Sorgekultur hat wiederum nachweislich positive Effekte auf die Gesundheit der Bevölkerung und wirkt unter anderem auch Suchterkrankungen vor.
In Hinblick auf konkrete Massnahmen in der Suchtprävention, sehen wir im Altersbereich Potenzial – insbesondere bei Angeboten, welche die lokalen Netzwerke stärken. So werden beispielsweise bei Projekten, welche die Gangsicherheit und körperliche Widerstandskraft in Gruppen fördern, kaum substanzspezifische Themen miteingebracht. Gleichzeitig wissen wir aber, dass der übermässige Konsum von Alkohol und bestimmten Medikamenten einen grossen Einfluss auf das Sturzrisiko haben kann. Hier könnte «Out-of-the-Box» gedacht werden, um fachlich unterschiedliche Themenfelder in der Praxis stärker zusammenzubringen.
Wie erfahren Gemeinden von guten Projekten anderer Gemeinden?
Mit dem nationalen Preis «Gesunde Gemeinde» bzw. «Gesunde Stadt» werden jährliche vorbildliche Projekte und Konzepte kommunaler Gesundheitsförderung und Prävention aus allen Landesteilen ausgezeichnet. Die ausgezeichneten Projekte können unter http://www.preis-gesunde-gemeinde.ch eingesehen werden. Momentan läuft die Ausschreibung für den Preis 2023. Engagiert sich eine Gemeinde bzw. Stadt aktiv für gesunde Lebensbedingungen oder setzt beispielhafte Massnahmen um, welche die Bevölkerung zu einem gesundheitsbewussten Verhalten bewegen, kann sie sich jetzt bewerben.
Können Sie ein konkretes Good-Practice Beispiel nennen?
Meilen (ZH) setzt sich seit längerer Zeit sehr aktiv für die Verbesserung der Lebensbedingungen in ihrer Gemeinde ein. Im Rahmen von «Die Gemeinden handeln!» hat Meilen unter Einbezug aller wichtiger Schlüsselpersonen eine Bedarfserhebung durchgeführt und einen Massnahmenplan für eine kohärente Präventionspolitik entwickelt. Die anschliessende Beteiligung am Modellversuch von «Communities That Care» (CTC) förderte die Bildung einer strukturell verankerten Präventionskommission. Eine wissenschaftliche CTC-Jugendbefragung, welche bei allen Jugendlichen durchgeführt wurde, identifizierte unter anderem auch vorhandene Risikofaktoren und fehlende Schutzfaktoren, die für die Entstehung einer Suchterkrankung eine zentrale Rolle spielen. Dies ermöglichte es Meilen auf dem bestehenden Präventionsangebot aufbauende Massnahmen und Programme umzusetzen.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen, welches aufzeigt, wie eine professionelle und engagierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Bereiche ganzheitliche Präventionsbemühungen möglich macht.
Warum lohnt es sich für Gemeinden, in die Suchtprävention zu investieren?
Mit präventiven Massnahmen können Gemeinden die Lebensqualität und die Zufriedenheit der Bevölkerung erhöhen. Auch finanziell lohnt sich eine Investition in die Prävention. Laut Studien betrugen die gesellschaftlichen Kosten des Suchtmittelkonsums in der Schweiz 7.9 Milliarden Franken im Jahr 2017, wobei hauptsächlich Alkohol-, Tabak- und illegaler Drogenkonsum berücksichtigt wurden. Jeder investierte Präventionsfranken im Bereich Alkohol spart 23 Franken an Gesundheitskosten. Im Bereich in der Tabakprävention sogar das 41-Fache.
Wo finden Gemeinden Partner oder anderweitige Unterstützung?
Für fachliche Unterstützung und konkrete Suchtpräventionsmassnahmen können sich Gemeinden an die jeweiligen kantonalen oder regionalen Suchtpräventionsstellen wenden.
In Kooperation mit den Kantonen verfügt «RADIX Gesunde Gemeinden» über Angebote zu verschiedenen Themen und Lebensphasen.
Einen guten Überblick für Gemeinden und Städte bietet die Webplattform www.prevention.ch/gemeinden. Darauf sind u.a. die «Orientierungsliste KAP 2019: Auszug für Städte und Gemeinden» und die «Erfolgsfaktoren und Empfehlungen für Präventionsprojekte in Gemeinden» zu finden.
In der Sammlung «PGF wirkt!» finden Gemeinden, Fachstellen und anderen Interessierte eine Übersicht wirksamer Massnahmen zur Prävention von jugendlichem Problemverhalten sowie der Gesundheitsförderung.
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