«Wir brauchen mehr Natur, um uns gesund zu erhalten»

An der NCD-Stakeholderkonferenz zum Thema «Umwelt und Gesundheit» bringt Pascal Kipf die Perspektive der Klimabewegung ein. Im Interview mit Spectra spricht er über das Zusammenspiel von Natur und Gesundheit, über Klima-Angst und Gartentherapie. Er wünscht sich, dass das Gesundheitssystem nicht nur auf die menschliche Gesundheit fokussiert, sondern grösser gedacht wird.

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Themen

Psychische Gesundheit

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Herr Kipf, Sie haben die Klimastreiks in Bern organisiert; Sie engagieren sich für die Lösung der Klimakrise und für eine nachhaltigere Gesellschaft. Oft fühlt sich das wohl als Kampf gegen Windmühlen an?

Pascal Kipf: Tatsächlich musste ich nach meinen ersten sechs sehr aktiven Monaten etwas kürzertreten. Erst im Nachhinein habe ich bemerkt, dass es eigentlich mehr war, als mein Körper stemmen mag. Wenn man sich aber mit voller Überzeugung für etwas einsetzt, entwickelt man viel Energie – das kann aber in einem «Burnout-Aktivismus» enden.

Können Sie aber auch Erfolge feiern?

Die Klimabewegung hat das Bewusstsein um die Klimakrise sicher gefördert. Nebst dem sind die Erfolge für mich wohl eher im persönlichen Bereich – bei dem, was der Aktivismus in den Alltag einbringt: Gleichgesinnte Menschen um sich zu haben, den gemeinsamen Antrieb und die Motivation. Es macht Mut, wenn man sich mit Gleichgesinnten über das Weltgeschehen austauschen kann. Das ist eine echte Bereicherung, gerade, weil es sich manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen anfühlt.

Ist die Gesundheit ein Thema bei der Klimabewegung?

Ja, ein Aspekt ist eben sicher die persönliche Gesundheit: Bedingt durch die Dringlichkeit der Klimakrise und der gleichzeitigen politischen Untätigkeit gibt es Burnout-Tendenzen. In der Klimabewegung gibt es viele Menschen, die sehr viel Zeit und Energie in den Aktivismus stecken – so viel, dass sie selber etwas auf der Strecke bleiben.

Und das andere ist ganz offensichtlich: Die Klimakrise ist eine Bedrohung für die Gesundheit von Milliarden von Menschen. Dies auf ganz verschiedenen Ebenen: Sei es bei der Nahrungsversorgung, durch Hitzetode, dem Zugang zu Trinkwasser oder der Verbreitung von Krankheitserregern...

Was wollen Sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der NCD-Stakeholderkonferenz mitgeben?

Das Gesundheitssystem muss grösser gedacht werden und kann nicht nur die menschliche Gesundheit beinhalten. Unsere Gesundheit ist von der Natur abhängig. Das beginnt bereits bei der Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung. Aber es hat auch viel damit zu tun, wieviel Natur wir in unserem Alltag haben. Die Forschung zeigt klar: Je weniger Natur uns umgibt, desto anfälliger sind wir auf Allergien, aber auch auf psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Wir brauchen mehr Natur, um uns gesund zu erhalten. Es ist wichtig, mehr in grösseren Zusammenhängen zu denken. Das erfolgt leider noch nicht.

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Pascal Kipf ist in der Berner Regionalgruppe der Klimabewegung aktiv, v.a. im Bereich Landwirtschaft. Er hat Biogeowissenschaften in Neuchâtel studiert.

Können Sie das erläutern?

Ein Beispiel ist die Zuckerrübenproduktion: sie wird vom Bund stark subventioniert. Gleichzeitig haben wir eine Zunahme an Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das belastet das Gesundheitssystem finanziell und gehört auch nicht zu einer lebenswerten Zukunft. Auf der einen Seite fördert man also etwas, das man anderswo zu reduzieren versucht – das sind doch zwei komplett unterschiedliche Interessen und Positionen auf dem gleichen Institutionslevel.

Oder ein anderes Beispiel: Wir subventionieren die Milchwirtschaft, haben aber gleichzeitig eine Milchschwemme. Die lässt die Preise zerfallen, was wiederum betroffenen Bauern Probleme bringt. Gleichzeitig sollten wir viel weniger Milchprodukte und vor allem weniger Fleisch konsumieren. Denn wenn wir zu viel Fleisch essen, ist das nicht nur schlecht für unsere Gesundheit, sondern zerstört auch unsere Lebensgrundlage. Das sind widersprüchliche Positionen und keine gesunden Kreisläufe – diese Positionen müssen irgendwie in einen Einklang gebracht werden. Das One-Health-Konzept ist daher ein sehr zentraler Punkt, der an dieser Konferenz diskutiert werden sollte.

Gibt es andere Punkte, die sie an der Stakeholderkonferenz gerne diskutieren möchten?

Ich würde gerne auch über die Bedeutung für den Alltag sprechen: Wir haben eine Klima- und eine Biodiversitätskrise. Ich bin überzeugt, dass wir Menschen das spüren, ohne es aktiv wahrzunehmen. Wieso haben wir das Bedürfnis, ins Grüne zu gehen? Wieso brauchen wir die Ruhe der Natur? Der Stadtlärm tut uns nicht gut. Wir brauchen Entschleunigung im Alltag – und da spielt die Natur eine zentrale Rolle. Studien zeigen, wie stark der Blutdruck ansteigt, wenn wir eine halbe Stunde einer Strasse entlanggehen und wie stark er sinkt, wenn wir eine halbe Stunde im Grünen verbringen. Wir müssen uns bewusster werden, was die Natur für uns bedeutet – und wir müssen dem mehr Platz geben.

Die sogenannte «Klima-Angst» schlägt vielen Personen auf die Psyche. Erleben Sie das auch in Ihrem Umfeld?

Ja, definitiv. Ich kenne dies sogar persönlich sehr gut. Mir ist es letztes Jahr ziemlich schlecht gegangen – ich glaube, das hat stark mit dieser Angst zu tun gehabt. Viele Personen in meinem Umfeld haben diese Angst, zum Teil sehr ausgeprägt. Dafür muss man aber nicht mal in die Aktivismus-Bubble schauen – ich glaube, diese Angst ist viel weiter verbreitet. Wenn ich diesen Sommer mit den Menschen spreche, so sagen viele: Was um uns herum passiert, macht Angst.

Wie gehen Sie mit dieser Angst um?

Das ist schwierig – ich suche immer Wege für den Umgang damit. Manchmal ist es ein «Beiseiteschieben», was natürlich nicht nachhaltig ist. Manchmal gibt es aber auch Ereignisse oder Sachen, die Mut geben. Ich glaube auch, dass es ein Dosieren unserer medialen Welt braucht. Ich schaue mittlerweile weniger Nachrichten, weil ich weiss – da und dort sehe ich Entwicklungen, die alle miteinander zu tun haben und in ihrem Ausmass beängstigend sind.

Enorm wichtig ist sicher die Peergroup, die sich gegenseitig trägt. Mir persönlich gibt die Natur sehr viel – das ist auch ein Grund, warum ich nun eine Weiterbildung in Gartentherapie begonnen habe.

Wie gehen andere Betroffene mit ihrer Klima-Angst um?

Es gibt sicher viele, die sich grad wegen dieser Angst in einen Burnout-Aktivismus steigern. Aktivismus kann sicher ein mächtiges Mittel sein, um mit der Angst umzugehen. Es gibt ein kollektives Gefühl von Wirksamkeit: Gemeinsame Aktionen und gemeinsames Wirken helfen. In meinem Umfeld gibt es aber einige Betroffene, die ihren Umgang mit dieser Angst noch nicht gefunden haben.

Im Rahmen ihrer Weiterbildung zu Gartentherapie verfassen Sie eine Arbeit über diese Klima-Angst...

Gartentherapie kann helfen, mit der Klima-Angst umzugehen – sie kann Boden unter den Füssen geben. Und gleichzeitig kann die Gartentherapie motivieren, aktiv zu werden. Das wäre einerseits der Schlüssel, um Probleme anzugehen, andererseits auch ein Mittel, um mit der Angst umzugehen. Da spielt das Verhältnis zur Natur eine starke Rolle – das möchte ich genauer anschauen. Ich möchte gewisse Strategien ausarbeiten, die beim Umgang mit der Klima-Angst helfen könnten.

Was muss man sich unter dieser Gartentherapie-Weiterbildung vorstellen?

Die Gartentherapie ist hierzulande viel weniger verbreitet als in Deutschland oder Grossbritannien. In Grossbritannien hat die Gartentherapie eine längere Tradition: Die beiden Weltkriege haben dort viele traumatisierte Menschen hervorgebracht, die nicht wieder in den Arbeitsalltag zurückkehren konnten. Diese Menschen haben dann in der Landwirtschaft gearbeitet. Dabei hat man festgestellt, dass diese Arbeit in der Natur den traumatisierten Menschen guttut. Durch diese Tradition gibt es in Grossbritannien viel mehr Angebote für Gartentherapie als bei uns. Der Kurs, den ich besuche, ist ein Pilotprojekt für Einsteigerinnen und Einsteiger. Dort lerne ich, wie ich Menschen mit Gartentherapie unterstützen kann.

Möchten Sie später als Gartentherapeut arbeiten?

Ich fände es sehr schön, wenn sich dazu eine Gelegenheit ergeben würde. Man muss zwar seinen eigenen Weg gehen, aber es gibt eine breite Palette an Möglichkeiten: Zum Beispiel kann man bei einer bestehenden Institution wie einem Altersheim anknüpfen. Viele sind da sehr offen – allerdings ist es immer eine Zeit- und Geldfrage. Ich sehe mich vor allem im aktivistischen Kontext. Ich würde gerne Workshops anbieten und so anderen Menschen das Potential der Natur näherbringen.

Wie sind Sie auf die Gartentherapie gekommen?

Die Biophilia-Theorie hat mich sehr fasziniert. Diese Theorie ist 1984 von Edward O. Wilson aufgestellt worden und ist eigentlich relativ banal: Wir als Lebewesen sind über Jahrmillionen in natürlichen Lebensräumen entstanden. Es ist daher sehr plausibel, dass nach wie vor diverse Links zwischen Mensch und Natur bestehen. Das erklärt die positiven, messbaren Effekte von Waldbaden oder Gartentherapie auf unsere Gesundheit.

War die Biophilia-Theorie Teil ihres Studiums?

Nein, das habe ich aus persönlichem Interesse kennengelernt. Auch im Studium kam für mich dieser intersektoriale Ansatz zu kurz. Wir haben über Artenverlust und Klimawandel gesprochen – aber wir haben es so angeschaut, als wären wir Forschende Aussenstehende, welche die Prozesse einfach beschreiben müssen. Ich verstehe, dass das Aufgabe der Forschung ist – gleichzeitig aber sehe ich es als Problem: Es muss gelingen, solche wichtigen Entwicklungen in massentaugliche Begriffe zu bringen und die Konzepte und Berichte für alle verständlich zu machen.

Sie sagen, die Klimakrise sei ein strukturelles Problem. Können Sie das erläutern?

Die anschaulichsten Beispiele finden sich im Alltag: Wenn man nachhaltig leben will, bedeutet das auf jeder Ebene ein Mehraufwand – zeitlich wie finanziell. So sind wir sofort bei den Rahmenbedingungen, die unseren Alltag prägen. Das beginnt schon mit der Auswahl im Supermarkt: Wie erschwinglich sind nachhaltige Produkte für Menschen mit tiefen Einkommen? Nicht alle können sich nachhaltige Produkte leisten.

Ein anderes Beispiel von letzter Woche: Ich habe eine Lampe Occasion erworben – ich finde, ich brauche keine neue Lampe. Der Aufwand, diese Lampe zu beschaffen, war sehr gross: Ich bin drei Stunde gefahren, im Vergleich zu einem Neukauf habe ich vielleicht 20 Franken gespart. Wir haben überall Anreize, Dinge neu zu kaufen statt sie zu flicken oder mehrmals zu verwenden.

Ein grosses Problem sind auch die Investitionen auf dem Schweizer Finanzplatz: Allein der Schweizer Finanzplatz verursacht zwanzig Mal mehr Emissionen, als die ganze Schweiz. Zwar verantworten die Käufer der Aktien diese Emissionen nicht allein, ihr Kapital wird aber klimaschädigend eingesetzt.

Sie bezeichnen die Wirtschaft insgesamt als strukturelles Problem...

Auch hier ist das Verhältnis vom Mensch zur Natur ausschlaggebend. Das möchte ich am Beispiel der Landwirtschaft verdeutlichen, da diese uns einigermassen nahe ist. Lange hat man den Boden einfach als Substrat angeschaut: Er braucht Sticksoff, Phosphor usw. – das geben wir ihm als Dünger, damit wir möglichst viel aus ihm herausholen können. Wir beuten den Boden aus, betreiben Raubbau an der Natur. Heute zeigt sich nun deutlich: Weil wir unsere Böden in dieser Weise bearbeiten, weisen sie zu wenig Humus auf – die Böden werden dadurch unfruchtbar. Und trotz dieses Wissen intensiviert man das System weiter, das dies verursacht hat. Der Boden ist ein sehr komplexes Netzwerk aus verschiedensten Organismen-Gruppen. Wenn wir diese Organsimen-Gruppen in ihrem Funktionieren unterstützen, gibt uns die Natur eigentlich genug, ohne dass wir sie zugrunde wirtschaften müssen.

Sie sprechen immer wieder unser Verhältnis zur Natur an...

Die Natur ist für mich der Schlüssel – nicht nur für die persönliche Gesundheit, sondern auch für Entwicklungen, die wir in unserer Gesellschaft dringend benötigen. Wir müssen das Verhältnis zur Natur überdenken und anders leben.

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